Die Württembergische, der „BHG“, die „hRspr.“ und die Literatur

Der Kollege Munzinger hat Stress mit der Württembergischen – offensichtlich hat er unter Hinweis auf das Urteil des BGH IX ZR 110/10 vom 13.o1.2011 eine 1,5-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG geltend gemacht. Das passt der Württembergischen natürlich gar nicht. Sie belehrt den Kollegen:

Wir dürfen darauf hinweisen, dass das von Ihnen erwähnte BHG-Urteil den gesetzliche Vorgaben und der hRspr. sowie Literatur widerspricht.

(Schreibfehler sind original)

Ach, wirklich? Typischer Fall von Recht und doch nicht Recht bzw. die Feinheiten nicht verstanden. BGH a.a.O.:

Die Rechtsanwälte des Klägers durften jedenfalls eine 1,3-fache Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG in Rechnung stellen. In dieser Höhe fällt die Geschäftsgebühr in durchschnittlichen Rechtssachen als Regelgebühr an (m.w.N.). Ob eine Rechtssache als wenigstens durchschnittlich anzusehen ist, bestimmt sich gemäß Â§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Die Tätigkeit der Rechtsanwälte des Klägers war nach diesen Kriterien jedenfalls durchschnittlich aufwändig.

Zwischenergebnis:
Die 1,3-fache Geschäftsgebühr fällt in durchschnittlichen Rechtssachen als Regelgebühr an. Jetzt kommt der zweite Schritt, der BGH weiter:

Die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr ist einer gerichtlichen überprüfung entzogen (!). Für Rahmengebühren entspricht es allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 v.H. (sog. Toleranzgrenze) zusteht (m.w.N.). Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen. Mit der Erhöhung der in jedem Fall angemessenen Regelgebühr um 0,2 haben die Rechtsanwälte des Klägers die Toleranzgrenze eingehalten.

Und die Toleranzgrenze von 20 % entspricht sehr wohl der herrschenden Meinung in Rechtsprechung + Literatur.

10 Responses to “Die Württembergische, der „BHG“, die „hRspr.“ und die Literatur”

  1. anonymisiert sagt:

    Ist ja alles richtig, und die Dame von der Württembergischen drückt sich in der Tat mindestens sehr untechnisch aus.

    Aber ob die Rechtssache wirklich „durchschnittlich“ war, ist nun einmal als Allererstes zu prüfen (anderenfalls ist die Bestimmung „unbillig“, BGH, Urt.v. 31.10.2006 – VI ZR 261/05), und im vorliegenden Fall – offenbar ein einfaches anwaltliches Aufforderungsschreiben ohne nennenswerte juristische Denkarbeit – konnte man das wohl mit guten Gründen in Frage stellen.

  2. anonymisiert sagt:

    Die Dame der Versicherung kann noch nicht einmal richtig das Gesetz abschreiben. Es heißt nämlich, daß eine Gebühr von m e h r a l s 1,3 … . Und es war schon zu BRAGO Zeiten so, daß der RA (kein Versicherer!) für eine so bestimmte Gebühr ein Ermessen hatte, um bis zu 20% darüber zu gehen, hier sind also 1,5 absolut ok.

    Der Kollege hatte auch kein einfaches Aufforderungsschreiben, sondern einen Vertragswiderruf. Wenn man das will, kann man das auch nachlesen.

    Wenn man sich ernsthaft mit der Thematik auseinandersetzen will, kann man auch überall nachlesen, daß die Länge eines Schreibens nicht ohne weiteres auf die Vorarbeiten schließen läßt.

  3. anonymisiert sagt:

    A.A.: AG Halle 93 C 57/10 mit Anmerkung N. Schneider Bei der Frage, ob die sogenannte Schwellengebühr der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG überschritten werden kann, handelt es sich um eine vom Gericht vollumfänglich zu prüfende Rechtsfrage; ein Toleranzbereich besteht hier nicht. Soweit der BGH IX ZR 110/10 gegenteilig entschieden hat, folgt das AG dieser Auffassung nicht. Der BGH habe seine Rechtsauffassung weder begründet noch sich mit der bestehenden einhelligen Rechtsprechung und Literatur befasst. Schließlich sei auch der Wille des Gesetzgebers unbeachtet geblieben.

    Der sicherlich ohne übertreibung als einer der führenden Gebührenrechtler zu bezeichnende Norbert Schneider führt in seiner Anmerkung zum Urteil beispielsweise aus (Editorial AGS, Heft 9/2011): „Es ist dem AG Halle hoch anzurechnen, dass es den Mut hat, sich gegen eine unzutreffende Rechtsprechung des BGH zu stellen, anstatt diese gedankenlos zu übernehmen, wie dies leider allzu häufig geschieht“. Ähnlich hat sich Schneider kürzlich im NJW-Spezial geäußert und die Auffassung vertreten, dass der BGH bald Gelegenheit haben wird, dieses falsche Urteil zu korrigieren.

    Denn der Wortlaut des RVG VV 2300 ist eindeutig: „eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war“. Da ist für eine Toleranz keinerlei Spielraum.

  4. anonymisiert sagt:

    Der viel bemühte, vermeintlich gerichtlicher überprüfung entgegen 315 BGB entzogene „Toleranzfaktor“ von 20 % kommt außerdem nur dann zum Tragen, wenn überhaupt ein Ermessen ausgeübt wird. Wenn der RA weiß, daß sein Fall weder umfangreich noch schwierig ist, sondern ein schlichter Durchschnittsfall und mal vorsorglich 1,5 abrechnet, weil ja 20 % Toleranzrahmen gelten, der übt kein Ermessen aus und handelt auch nicht billig, sondern macht schlichtweg wissentlich einen nicht gerechtfertigten Aufschlag.
    s. z-B. KG AGS 2004, 443, Mayer/Kroiß Â§ 14 RVG Rn 54.

  5. anonymisiert sagt:

    @Einspruch

    Auch Päpste können mal daneben liegen und hier irrt Norbert Schneider. Denn auch der Frage ob ein Fall „umfangreich oder schwierig war“ ist eine Einschätzung immanent.

  6. anonymisiert sagt:

    Wenn entgegen des eindeutigen Gesetzeswortlautes eine 1,5 abgerechnet wird, sollte man sich vielleicht mal Gedanken über § 352 STGB machen.

  7. anonymisiert sagt:

    Wenn der BGH sagt, daß es geht, warum soll das strafbar sein? Oder sollen die BGH Richter als Anstifter verurteilt werden. Man darf sich eben nicht nur irgendetwas aus dem Gesetz rauspicken, sondern muß das ganze Gesetz anwenden.

  8. anonymisiert sagt:

    AG Kirchhain Urteil 7 C 166/11 vom o8.o8.2011:

    Dem Klägervertreter steht bei der Festsetzung seiner Gebühren ein der richterlichen Kontrolle entzogener Ermessensspielraum zu (vgl. BGH NJW 2011, 1603). Die Bestimmung einer 1,5-fachen Gebühr durch den Klägervertreter ist daher nicht zu beanstanden.

  9. anonymisiert sagt:

    OLG Koblenz, Urteil vom 05.09.2011 – 12 U 713/10:
    Nach der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Diese Regelung begrenzt den in § 14 I 1 und 4 RVG dem Rechtsanwalt eingeräumten Spielraum. Entgegen der Auffassung des BGH im Urteil vom 13.01.2011 (IX ZR 110/10, BeckRS 2011, 03189, ist die Erhöhung der bei durchschnittlichen Rechtssachen anfallenden 1,3 Geschäftsgebühr auf eine 1,5 Gebühr trotz des bei der Gebührenbemessung anerkannten Toleranzspielraums einer gerichtlichen Nachprüfung nicht entzogen.

    Auch beim OLG Koblenz kann man das Gesetz lesen und versteht es 🙂
    Besonders interessant an dieser Entscheidung ist auch, dass die Gesetzesmaterialien zur Begründung herangezogen werden.

  10. anonymisiert sagt:

    Jetzt sind wir auch mal wieder dran. Mandant war von Hund gebissen worden. Drei Wochen krank geschrieben, drei Arzt/ Krankenhausbesuche, laufende leichte Beschwerden. Wir haben die Halterin angeschrieben und wissen natürlich nicht was kommt. Das ist mindestens in der Prognose mittelschwierig. Die Württembergische meint, es seien nur 1,1 berechtigt und zahlen „entgegenkommenderweise“ 1,3. Dann muß der Mandant die Differenz bezahlen.