Insbesondere im Arbeitsrecht tätige Kollegen werden bemerkt haben, dass Rechtsschutzversicherer in Kündigungssachen neuerdings grundsätzlich Rechtsschutz für die aussergerichtliche Tätigkeit des beauftragten Anwalts verweigern.
Eine derartige Praxis widerspricht der eindeutigen Rechtsprechung seit Einführung des RVG.
Zur Argumentationshilfe gebe ich interessierten Kollegen gern die nachfolgenden Urteile bekannt:
- BGH Urteil vom 01.10.1968 VI ZR 159 / 67 AnwBl 1969, 15;
- Urteil des Amtsgerichts Essen – Steele JurBüro 2005, 585; AGS 2005, 468 sowie R+S 2006, 70 mit Anmerkung von RA J. Cornelius “ Winkler;
- Urteil des AG Cham vom 22.12.2005 “ 1 C 0323 / 05 AnwBl 2006, 287;
- Urteil des Amtsgerichts Hamburg “ St. Georg vom 10.02.2006 “ JurBüro 2006, 309 “ mit Anmerkung RA P.Kitzmann;
- Urteil des Amtsgerichts Velbert vom 08.09.2006 “ 12 C 144 / 05 “ AnwBl 2006, 770;
- Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 14.09.2005 “ 93 C 2931 / 05 “ 40 JurBüro 2007, Heft 3 demnächst
Der Leitsatz des bereits aus dem Jahr 1968 stammenden BGH-Urteils lautet:
Ein Geschädigter, der seinen Anwalt zunächst mit der aussergerichtlichen Schadensregulierung beauftragt, verstösst dadurch nicht gegen seine Schadensminderungspflicht
Der Leitsatz des ausgezeichnet begründeten Urteils des AG Essen-Steele lautet:
Ein Versicherungsnehmer verstösst nicht gegen seine Obliegenheit, alles zu vermeiden, was eine unnötige Erhöhung von Kosten verursachen könnte, wenn er in einer Kündigungsschutzsache seinem Anwalt nicht sofort Prozessauftrag erteilt, sondern ihn zunächst mit der aussergerichtlichen Vertretung beauftragt.
Der Leitsatz des überzeugend begründeten Urteils des AG Cham lautet:
1. Der Rechtsanwalt, der vor Erhebung einer Kündigungsschutzklage erst aussergerichtlich tätig wird und eine Einigung mit dem Gegner sucht, handelt auch dann sachgerecht, wenn er dies erst wenige Tage vor Ablauf der Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage unternimmt.
2. Eine Rechtsschutzversicherung ist verpflichtet, auch für die aussergerichtliche Interessenwahrnehmung im Rahmen einer Bestandsschutzstreitigkeit Deckung zu gewähren, weil der Gesetzgeber dem Versuch der gütlichen und aussergerichtlichen Streitbeilegung Vorrang einräumt
Der Leitsatz des Urteils des Amtsgerichts Hamburg – St. Georg, das “ soweit aus der bisher vorliegenden Rechtsprechung ersichtlich “ erstmalig auf die ARB abstellt, lautet:
1. Ein Versicherungsnehmer darf davon ausgehen, dass der arbeitsrechtliche Versicherungsschutz nicht auf die gerichtliche Auseinandersetzung beschränkt ist.
2. Für die aussergerichtliche Tätigkeit in einer Kündigungsschutzsache ist eine Geschäftsgebühr in Höhe von 2,5 angemessen
3. Die Geschäftsgebühr für eine aussergerichtliche Tätigkeit in einer Kündigungsschutzsache ist auf eine gemäss Nr. 3101 Ziffer 1 VV RVG zusätzlich entstandene verkürzte Verfahrensgebühr wegen Fehlens eines gerichtlichen Verfahrens nicht anzurechnen.
Der Leitsatz des Urteils des AG Velbert lautet:
Der Rechtsschutzversicherte verliert seinen Befreiungsanspruch gegenüber seiner Rechtsschutzversicherung nicht, wenn er in einer Kündigungsschutzsache seinem Anwalt zunächst einen aussergerichtlichen Auftrag erteilt, sofern es sich um eine vernünftige Gestaltungsvariante handelt.
Der Leitsatz des Urteils des AG Wiesbaden lautet:
Ein Versicherungsnehmer, der seinem Anwalt in einer Kündigungsschutzsache zunächst einen unbedingten Auftrag für den Versuch einer vorgerichtlichen Einigung und gleichzeitig “ für den Fall des Misserfolgs “ einen bedingten Auftrag zur Erhebung einer Klage auf Feststellung des Fortbestehens des gekündigten Arbeitsverhältnisses erteilt, verstößt dadurch nicht gegen seine Schadensminderungspflicht.
Der Rechtsschutzversicherer ist verpflichtet, den Versicherungsnehmer von der auf diese Weise entstandenen Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Anwalts freizustellen.